Heute wollen wir uns einem weitverbreiteten Phänomen widmen: Warum Du schlechte Entscheidungen triffst, obwohl Du es eigentlich besser weißt. Der Artikel ist daher so relevant, weil diese Eigenschaft sich durch sämtliche Schichten der Gesellschaft zieht, unabhängig von Intelligenz, Wissen oder der Ausprägung bestimmter Fähigkeiten. Und der perfekte Ort, dieses Dilemma zu beobachten, ist die allseits beliebte Online-Aktionsplattform namens eBay.
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ToggleDieses psychologische Phänomen beeinflusst Deine Entscheidungen
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in der Anfangszeit des virtuellen Auktionshauses fast täglich die Webseite besuchte und sowohl als Käufer als auch als Verkäufer sehr aktiv war. Dies lag zum einen daran, dass man in der damaligen Prä-Powerseller-Ära noch echt gute Schnäppchen machen konnte, andererseits hat mich eBay schon immer aus psychologischer Sicht fasziniert.
Wie häufig beobachtete ich staunend, wie sich User bei mehr oder weniger belanglosen Artikeln gegenseitig so lange überboten, bis diese zu wahnwitzigen Preisen verkauft wurden. Und ich werde es wohl nie vergessen, wie ich einmal miterlebte, wie ein 50-DM-IKEA-Gutschein für 63,75 Mark ersteigert wurde. Dieses vollkommen irrationale Verhalten basiert auf einem psychologischen Phänomen aus der Verhaltensforschung, das am besten an einem Experiment namens Dollarauktion veranschaulicht werden kann.
Das psychologische Phänomen der versunkenen Kosten (Sunk Costs)
Laut einer Anekdote lud Professor Adam Grant von der Wharton Management Universität in Pennsylvania seine Studenten zur Versteigerung eines 20-Dollar-Scheins ein. Es gab nur drei einfache Regeln.
- Jeder konnte ein Gebot abgeben.
- Der Höchstbietende erhielt den 20-Dollar-Schein.
- Jeder muss sein Höchstgebot auf jeden Fall zahlen, unabhängig davon, ob man die Auktion gewonnen hatte oder nicht.
Während die Studenten anfangs noch recht zögerlich ihre Gebote abgaben, entwickelte sich ab 17 $ ein regelrechter Gebotskrieg, der ab einem Gebot von 21 $ zu einer faszinierenden Situation führte. Der Gewinner war zu diesem Zeitpunkt mit einem Dollar im Minus, der Zweitplatzierte mit 20 $, der Dritte mit 19 $ und so weiter. Doch wenn Du jetzt denkst, dass dies dazu führte, dass die Gebote aufhörten, dann hast Du Dich getäuscht, denn am Ende des Experiments wurde der 20-Dollar-Schein für mehrere hundert Dollar ersteigert.
Doch warum haben die Studenten so offensichtlich eine falsche Entscheidung getroffen, obwohl sie es doch eigentlich besser wussten? Die Wissenschaft erklärt dies zum einen mit der Theorie der versunkenen Kosten (Sunk Costs), also Ausgaben, die getätigt wurden und nicht mehr rückgängig gemacht werden können, aber immer noch einen emotionalen Einfluss auf zukünftige Entscheidungen haben.
Warum Du schlechte Entscheidungen triffst: Die Verlustaversion
Hinzu kommt die Verlustaversion, die besagt, dass Verluste subjektiv stärker gewichtet werden als Gewinne. Die Kombination dieser beiden Phänomene führt in der Praxis dazu, dass häufig desaströse Entscheidungen getroffen werden und man gescheiterte Projekte nur deshalb weiterführt, weil man schon so viel Zeit, Energie und Geld hineingesteckt hat.
Ich muss dann immer sofort an meinen Studienkumpel Gero denken, der in der völlig überhitzten Phase der Dotcom-Blase eine nicht unbeträchtliche Summe in eine, und ich zitiere, „todsichere Techaktie“ der New Economy investiert hatte. Nachdem diese um 25 Prozent gefallen war, kaufte er weitere Aktien nach, um seinen Verlust auszugleichen. Bei 50 Prozent Kursverlust borgte er sich weiteres Geld, um noch mehr in das Projekt zu investieren. Bis die vollkommen überbewertete Aktie irgendwann ganz auf null gesunken war und Gero einen Totalverlust verbuchen musste. Hätte er doch lieber auf Manfred Krug gehört und in die Deutsche Telekom investiert. Doch ich schweife ab.
Das Concord Projekt als Beispiel für Sunk Costs
Ein weiteres perfektes Beispiel für Sunk Costs in einem anderen Kontext ist die Entwicklung des Überschallflugzeugs Concorde, das 1976 zu seinem ersten kommerziellen Flug von Paris nach New York abhob. Seit dem Projektstart im Jahre 1969 hatten die britische und die französische Regierung bereits 2,8 Milliarden Euro in die Entwicklung investiert. Doch obwohl sich längst abgezeichnet hatte, dass die Concorde niemals profitabel sein würde, pumpte man noch 27 weitere Jahre Geld in das gescheiterte Projekt.
Oder umgangssprachlich ausgedrückt: Man warf gutes Geld schlechtem hinterher. Weil man so viel Angst davor hatte, sich von einem Vorhaben zu trennen, von dem man längst wusste, dass es niemals erfolgreich enden würde.
Aus genau diesem Grund scheitern so viele Veränderungen. Weil man sich nicht traut, einen Schlussstrich unter gescheiterte Vorhaben zu ziehen. Weil man sich davor drückt, sich emotional von einer falschen Entscheidung zu trennen. Und ganz besonders, weil man lieber alles versucht, sich den eigenen Misserfolg irgendwie schönzureden, anstatt noch einmal sauber von vorn zu beginnen.
Ja, hinfallen, aufstehen und die Krone richten, wäre in der überwältigenden Mehrheit der Fälle die einzig richtige Strategie. Doch weil man eben schon so viel Zeit, Energie oder eben auch Geld in die Verfolgung eines Ziels gesteckt hat, trifft man stattdessen eine desaströse Entscheidung nach der anderen. Und verschlimmert die Gesamtsituation dadurch noch um ein Vielfaches.
Wenn Du ein totes Pferd reitest, dann steig ab
Ich muss beim Schreiben dieser Zeilen direkt an eine alte Weisheit der amerikanischen Ureinwohner denken: „Wenn Du ein totes Pferd reitest, dann steig ab.“ Klingt erst einmal logisch, nicht wahr? Aber wie reagieren wir Menschen im Alltag? Von unserer Verlustaversion getrieben, versuchen wir alles, nur um diesen unbequemen Schritt zu verhindern. Ein paar Beispiele gefällig?
- Wir gründen eine Taskforce, um das tote Pferd zu analysieren.
- Wir beauftragen eine Unternehmensberatung, die uns mittels PowerPoint erklärt, was das Pferd zu leisten imstande wäre, wenn es noch leben würde.
- Wir verkünden, „dass wir das Pferd schon immer so geritten haben“.
- Wir buchen einen Erfolgsguru, der das tote Pferd motivieren soll.
- Wir tauschen die Reiterin aus.
- Wir suchen einen neuen Pferdelieferanten.
- Wir verdoppeln die Futterration für das tote Pferd.
- Wir engagieren einen anerkannten Experten, der angeblich tote Pferde reiten kann.
- Wir kaufen uns die allerneueste Generation von Peitschen.
- Wir ändern die Kriterien, die ein totes Pferd definieren.
- Wir genehmigen ein Sonderbudget für die Wiederbelebung toter Pferde.
- Wir lassen das tote Pferd nach DIN ISO 9000 zertifizieren.
- Wir bilden einen Arbeitskreis, der alternative Einsatzgebiete für tote Pferde erarbeiten soll.
Auch wenn diese Liste natürlich mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen ist, so steckt doch eine große Portion Wahrheit dahinter, nicht wahr? Und diese Erkenntnis bringt mich zur entscheidenden Frage: Was ist Dein ganz persönliches Pferd und dein Concorde Projekt im Alltag?
Oder auf andere Art formuliert: Welche Ziele, Träume und Projekte verfolgst Du nur noch, weil Du bereits so viele Ressourcen investiert hast, obwohl Du schon lange spürst, dass es an der Zeit ist, loszulassen? Solltest Du solche Vorhaben in Deinem persönlichen oder beruflichen Alltag identifiziert haben, dann hilft Dir ein radikaler Fokus-Shift. Weg von all den materiellen und immateriellen Kosten der Vergangenheit und hin zu Kosten und möglichen Chancen der Zukunft.
Akzeptiere, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab und wechsele das Fortbewegungsmittel. Denn möglicherweise führt Dich ein Zug, ein Sportwagen oder ein Segelboot viel schneller und einfacher zum gewünschten Erfolg. Oder wie es Hermann Hesse so wunderbar formulierte: „Manche denken, Festhalten macht uns stark. Aber manchmal ist es das Loslassen.“ Denn sobald Du Dich nicht mehr krampfhaft an gescheiterten Projekten festhältst, hast Du auf einmal beide Hände frei, um etwas vollkommen Neues zu starten.